Warten

Er wachte auf.
Seine Kleidung feucht, Wassertropfen am Bart, sein Kreuz spürte er nicht.
Sein Blick ging umher, blieb am Bushaltestellenschild hängen, richtete sich dann auf seine Hände. Blau, blaßblau, dunkle Adern, sie waren so kalt, erfrohren von der Nacht.
Er fing an sie aneinander zu reiben, ihnen Leben einzuhauchen.
Die kurz erzeugte Wärme blieb nicht lange, verflog wie sein Atem.
Versuche sich aufzurichten schlugen fehl, er hatte nicht die Kraft seinen Körper empor zu hieven.
Wie gelähmt lag er da, ließ seine Augen wandern, die Autos wahrnahmen, Menschen mit Aktenkoffern und Handtaschen, sah die Haltestelle, sah ein Mädchen.
Es lief hastig auf das Straßenschild zu, suchte auf der Abfahrtszeitenliste die Uhrzeit heraus, blickte auf ihre Armbanduhr und verschränkte die Arme. Langsam schien die Anspannung von ihrem Körper zu weichen, fast verträumt sah sie in die Luft.
Er kratzte sich, schob die Zeitungslagen wieder in die richtige Position, sah zu ihr, konnte den Blick nicht mehr von ihr wenden.
Wie sie dastand, ihre feinen Züge, das Haarband, die zarten Hände.
Sie wartete, tat kleine Schritte, strich sich über die Arme, zog den Kragen hoch.
Es schien ihr kalt zu sein.
Ihm war auch kalt, seine Jacke löchrig, die Zeitung zu dünn.
Zeit verging.
Unruhe trieb sie umher, ließ sie um die Schildstange laufen, schob sie zur Straße und drängte sie zurück.
Leben kroch in seine Glieder, der letzte Schluck aus der kleinen Flasche wärmte von innen.
Er konnte sich jetzt aufrichten, den Rücken an die graue Hauswand lehnen, besser sehen, wie das Mädchen wartete, umherlief, unruhig wurde.
Dauernd blickte sie auf die Uhr, sah nochmals auf den Plan; er nahm das oberste Zeitungsblatt und laß Todesanzeigen vom Vortag.

Sie stand immer noch da.
Wo wollte sie denn hin, hatte sie Termine?
Er sollte mal wieder zum Arzt, sein offenes Bein schmerzte stärker als letzte Woche.
Ja und Bier, Bier ja, daß brauchte er auch.

Jetzt wartete sie schon fast eine Stunde.
Wartete verkrampft, mit grimmigen Zügen um den Mund.
Diese Situation schien ihr nicht angenehm zu sein, wer wartet auch schon gerne eine entlose Stunde auf einen Bus der nicht kommen will.

Er, er wartete schon so lange.

Warum eigentlich alleine?

IK 98

Lyrik

von Irmi